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Dreistimmige Musik
Eine Stimme singt in der Nacht,
Nacht, die ihr bange macht,
singt ihre Angst, ihren Mut,
Singen bezwingt die Nacht.
Singen ist gut.
Eine zweite hebt an und geht mit,
hält mit der anderen Schritt,
gibt ihr Antwort und lacht,
weil zu zwein in der Nacht
Singen ihr Freude macht.
Dritte Stimme fällt ein,
tanzt und schreitet im Reih'n
mit in der Nacht. Und die drei
werden zu Sternenschein
und Zauberei.
Fangen sich, lassen sich,
meiden sich, fassen sich,
weil Singen in der Nacht
Liebe weckt, Freude macht,
zaubern ein Sternenzelt,
drin eins das andre hält;
zeigen sich, verstecken sich,
trösten sich, necken sich...
Nacht wär und Angst die Welt
ohnedich, ohne mich, ohne dich.
(Hermann Hesse)
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Alte Musik
Die Noten sind aufs Cembalo gebreitet.
Die Gambe ist, die Flöte vorbereitet.
Drei Flammen schweben über dem Docht.
Der Gram des tages dämpft sich und der Wille,
und wir versinken in der großen stille,
zu der Stunde sich vermocht.
Und nun ereignet sich der Augenblick
des Anfangs wie ein schmerzlich Geschick,
da wir von aller freien lust uns trennen
und uns ergeben diesem Strengen ganz,
dem tief Geheimen, dessen Ton und Glanz
zu dunkel ist, um ihn zu nennen.
Einsamste weltennachtum uns. Wir ziehen
dahin auf den verschlungenen Melodien.
Schwermütig denkt die Gambe ihren Traum,
die Flöte singt das Sehen und das Irren,
aber das Cembalo mit zartem Klirren
streut Sterne in den leeren Raum.
Und einmal flieht die Sehnsucht in die Weite,
indessen schwingt der Traum sich ihr zur Seite
und hebt sie sanft ins Himmlische hinauf.
Da nimmt sie, die in eines fast geworden,
das Cembalo mit silbernen Akkorden
in seinen Sternenschleier auf.
Und es geschieht ein sphärischer Gesang,
selig in sich und todesbang
und wird wie durchsichtig in seinen Wehen,
weht immer noch und dauert seine Frist,
und jeden überläuft es, und es ist,
als hätte gott hindurchgesehen.
Und dann zerbricht's und sinkt und geht zu Ende.
Schwer legt sich das Schweigen auf unsere Hände,
wir sitzen atmend da in Glück und Scham.
Wie gut wir uns auch waren beim Beginnen,
ach, jetzt gehören wir uns ganz da innen
so anders noch und wundersam.
(Manfred Hausmann)
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Gib mir Musik
In der zugigen Markthalle, die auf meinem Schulweg lag,
war ein kleiner Plattenladen, bei dem lief den ganzen Tag
ein Zehn-Schellack-Plattenwechsler, und dabei war auch ein Lied,
so ein Lied, wo es dich packt, daß du nicht weißt, wie dir geschieht.
Und da stand ich starr und hörte, und mir blieb gar keine Wahl:
Ich mußt' es wieder hör'n und wieder, noch einmal und noch einmal.
Aber dafür hieß es warten: Zehn Lieder hin und zehn zurück,
jedesmal 'ne knappe Stunde für knapp drei Minuten Glück.
Das gab Arger in der Schule, doch ich hab' mich nicht beschwert,
die Musik war all die Nerverei und alle Schläge wert!
Gib mir Musik!
Alles Gemeine ist verklungen,
all die Hänselei'n, die Mißerfolge, die Demütigungen.
Und die bitt're Niederlage ist in Wirklichkeit ein Sieg.
Gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik!
In der ersten Frühmaschine zwischen Frankfurt und Berlin,
eingekeilt zwischen zwei Businessmen, das Frühstück auf den Knien,
den Walkman auf den Ohren, die Musik ist klar und laut,
und ich wag' es kaum zu atmen, und ich spür' die Gänsehaut,
wie ein mächt'ger Strom von Wärme mich mit der Musik durchfließt,
wie mir plötzlich, unwillkürlich Wasser in die Augen schießt.
Und ich weiß, ich hab' natürlich kein Taschentuch im Jackett,
und ich wein' einfach drauflos und auf mein Frühstückstablett.
Links und rechts die Nadelstreifen, und ich heulend mittendrin.
Ob die Guten sich wohl vorstell'n können, wie glücklich ich bin?
Gib mir Musik,
um mir ein Feuer anzuzünden,
um die dunklen Tiefen meiner Seele zu ergründen.
Meine Lust und meine Schmerzen, Narben, die ich mir selbst verschwieg.
Gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik!
In die leere Hotelhalle heimwärts stolpern, nachts um drei.
Noch ein Abend voller Lieder, noch ein Fest ist jetzt vorbei.
Der Portier döst hinterm Tresen, soll es das gewesen sein?
Noch ganz kurz zusammensitzen, das letzte, letzte Glas Wein ...
Und jetzt steht da dies Klavier und Manni rückt den Sessel ran,
streicht ganz sacht über die Tasten, fängt zu spielen an und dann
läßt er Töne funkeln, perlen und wie Stemenstaub aufweh'n,
läßt die Melodien fließen, läßt kleine Wunder gescheh'n.
Und er rührt dich und er schürt dich und zerreißt dich, Ton für Ton,
bis du glaubst, dem Herz zerspringt in einer Freudenexplosion!
Gib mir Musik!
Die Träume, die längst aufgegeben,
verschüttet, in mir verdorr'n, beginnen wieder aufzuleben,
und ich weiß, daß ich jede verlor'ne Chance noch einmal krieg'.
Gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik, gib mir Musik
(Reinhard Mey)
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Ich wollte wie Orpheus singen
Ich wollte wie Orpheus singen,
Dem es einst gelang,
Felsen selbst zum Weinen zu bringen
Durch seinen Gesang.
Wilde Tiere scharten sich
Friedlich um ihn her.
Wen er über die Saiten strich,
Schwieg der Wind und das Meer.
Meine Lieder, die klingen nach Wein
Und meine Stimme nach Rauch,
Mag mein Name nicht Orpheus sein,
Mein Name, gefällt mir auch!
Meine Lyra trag' ich hin,
Bring' sie ins Pfandleihhaus.
Wenn ich wieder bei Kasse bin,
Lös' ich sie wieder aus.
Meine Lieder sing' ich Dir,
Von Liebe und Ewigkeit,
Und zum Dank teilst Du mit mir
Meine Mittelmäßigkeit.
Kein Fels ist zu mir gekommen,
Mich zu hören, kein Meer!
Aber ich hab' Dich gewonnen,
Und was will ich noch mehr?!
(Reinhard Mey) |
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